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Die Reportage: Die Ukraine verstehen
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Die Reportage: Die Ukraine verstehen
Bis auf das mir Gennady Kernes etwas zu gut wegkommt, ein sehr gut geschriebener Bericht!
Teil1:
Goethe ist überall. Selbst in Charkiw, der ukrainischen Millionenstadt im Osten, gerade mal dreißig Kilometer entfernt von der russischen Grenze. Goethe war zwar nie in der Ukraine, aber die Universität, zu seinen Lebzeiten gegründet, ernannte ihn zum Ehrendoktor; er hatte auf Bitten der Charkiwer deutsche Professoren geschickt, junge und rebellische Professoren, wie in einer Chronik zu lesen.
Wladimir Putin wäre gerne in Charkiw. Er hat die ukrainische Stadt schon in seine Landkarte des „Neuen Russland“ eingezeichnet: Charkow, so der russische Name, liegt mittendrin, geografisch wie mythisch. Das „Neue Russland“ beschwört das alte Imperium, das sowjetische wie das zaristische; es ist der Mythos einer Weltmacht. Das Auswärtige Amt in Berlin warnt vor Reisen in den Osten.
Trotz Waffenstillstand täglich mehr als zehn Verwundete
Das Militär-Krankenhaus in Charkiw ist ein altes Haus, vom Zaren vor 140 Jahren gegründet. So sieht es auch aus: Ein grauer Betonkasten, sieben Stockwerke hoch. Wer auf die Toilette geht, ahnt, dass für Hygiene Zeit und Geld fehlen, für alles andere auch. Der Zutritt in die Zimmer der verwundeten Krieger ist nicht möglich – „aus hygienischen Gründen“.
Der Chefarzt ist Traumatologe, also einer, der das Elend des Krieges kennt, gebrochene Beine, abgetrennte Glieder, zerschossene Körper. Er war schon in Afghanistan im Krieg, damals als Oberst der Sowjetarmee. Er kennt russische Offiziere als Freunde, mit denen er abends einen Wodka trank oder ein paar mehr.
Der Chefarzt ist ein wortkarger Mann, sein Körper spricht. Die Hände liegen auf dem Tisch, zur Faust verkeilt, ab und an kneten die Finger die Luft. Er lässt seinen Geschäftsführer reden, der 500 Betten verwaltet, viel zu wenige Betten für ein Land im Krieg. An manchen Tagen kamen zweihundert Verwundete und mehr, die meisten von Splittern getroffen. In der Nähe, nicht einmal eine Hubschrauber-Stunde entfernt, verläuft die Front.
Brüchiger Waffenstillstand
Zurzeit herrscht Waffenstillstand, sagt man. Trotzdem täglich wird ein Dutzend Verwundeter eingeliefert. Die Minen liegen überall im Kriegsgebiet herum, keiner weiß genau wo. Der Chefarzt, der Uniform trägt, schaut auf: „Russische Minen, die eigentlich verboten sind.“ Und ukrainische Minen? „Dazu können wir nichts sagen. Wir sind nur Ärzte.“
Der Geschäftsführer, der auch Uniform trägt, lächelt leise und richtet sein Rückgrat auf: „Wir erfüllen unsere Pflicht in Verteidigung der Ukraine.“ Der Waffenstillstand kann täglich, kann stündlich brechen. Die Ärzte kennen keine Freizeit mehr, keinen Urlaub.
Wie geht es einem Arzt, wenn er nach kurzer Nacht am Morgen wieder in den Operationssaal geht, improvisieren muss und nicht einmal die notwendigen Metallplatten und Stifte hat, um Brüche gescheit zu flicken? Der Chefarzt schaut verwundert: „Harte Männer können ihre Gefühle nicht so gut äußern“, sagt er. Mehr Gefühl erlaubt er sich nicht. Für mehr sei der Priester zuständig, der auch rund um die Uhr rufbereit ist.
„Jeder, der eine Militäruniform hat, wird behandelt“, sagt der Geschäftsführer des Krankenhauses, denn nur wenige Verwundete sind Soldaten der Armee. Die meisten, die eingeliefert werden, sind Freiwillige, die sich in Gruppen versammeln, die sie Bataillone nennen. Einige der jungen Männer, alle mit kurz geschorenen Haaren, zeigen ihr Gesicht, aber wollen aus Furcht ihren Namen nirgendwo gedruckt sehen: Der Kommandeur ist Manager und will nach dem Krieg auch wieder so arbeiten; ein anderer, der im Ost-Korps kämpft, ist Chef in einer Schuhfabrik, ein dritter, der verwundet wurde, ist Jurist.
Was ist Wahrheit, was Lüge, was Propaganda?
Sind sie Faschisten? Neonazis? Die Freiwilligen sind unerfahren im Umgang mit Journalisten, fühlen sich hilflos im Propaganda-Kampf mit der PR-Maschine in Moskau, in der Hunderte von Mitarbeitern die sozialen Netzwerke des Westens füttern.
Die Nationalisten sind laut, stellte der Historiker Jörg Baberowski in einem „Zeit“-Streitgespräch klar. „Je weniger Macht sie haben, desto lauter sind sie. Natürlich sind die ukrainischen Nazis nicht stilprägend! Aber es gibt sie.“ Professor Baberowski ist scharfer Kritiker der Medien in Deutschland und fordert: Nehmt auch die russische Sicht ein und versucht, sie zu verstehen! Was ist die Wahrheit in einem Krieg? Und was ist Lüge? Was ist Propaganda?
Die meisten, die heute in Deutschland über die Ukraine sprechen, fällen das Urteil über ein Land, das sie nicht kennen; sie wollen ihr Schicksal bestimmen, als wäre die Ukraine unsere Kolonie. So hat dieser Krieg im gut zwei Flugstunden entfernten Land eine zweite Front in Deutschland, eine Front aus Worten und Verschwörungen, Halbwahrheiten, Vorwürfen und Unterstellungen, eine ideologische Front.
...wird fortgesetzt
http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Die-Reportage-Die-Ukraine-verstehen-396784757
Teil1:
Die Reportage: Die Ukraine verstehen
Eine Reise durch ein schwieriges Land. Von einer Klinik, in der täglich neue Kriegsverwundete eintreffen, und von Patrioten, die gefährlich leben (Teil 1).Goethe ist überall. Selbst in Charkiw, der ukrainischen Millionenstadt im Osten, gerade mal dreißig Kilometer entfernt von der russischen Grenze. Goethe war zwar nie in der Ukraine, aber die Universität, zu seinen Lebzeiten gegründet, ernannte ihn zum Ehrendoktor; er hatte auf Bitten der Charkiwer deutsche Professoren geschickt, junge und rebellische Professoren, wie in einer Chronik zu lesen.
Wladimir Putin wäre gerne in Charkiw. Er hat die ukrainische Stadt schon in seine Landkarte des „Neuen Russland“ eingezeichnet: Charkow, so der russische Name, liegt mittendrin, geografisch wie mythisch. Das „Neue Russland“ beschwört das alte Imperium, das sowjetische wie das zaristische; es ist der Mythos einer Weltmacht. Das Auswärtige Amt in Berlin warnt vor Reisen in den Osten.
Trotz Waffenstillstand täglich mehr als zehn Verwundete
Das Militär-Krankenhaus in Charkiw ist ein altes Haus, vom Zaren vor 140 Jahren gegründet. So sieht es auch aus: Ein grauer Betonkasten, sieben Stockwerke hoch. Wer auf die Toilette geht, ahnt, dass für Hygiene Zeit und Geld fehlen, für alles andere auch. Der Zutritt in die Zimmer der verwundeten Krieger ist nicht möglich – „aus hygienischen Gründen“.
Der Chefarzt ist Traumatologe, also einer, der das Elend des Krieges kennt, gebrochene Beine, abgetrennte Glieder, zerschossene Körper. Er war schon in Afghanistan im Krieg, damals als Oberst der Sowjetarmee. Er kennt russische Offiziere als Freunde, mit denen er abends einen Wodka trank oder ein paar mehr.
Der Chefarzt ist ein wortkarger Mann, sein Körper spricht. Die Hände liegen auf dem Tisch, zur Faust verkeilt, ab und an kneten die Finger die Luft. Er lässt seinen Geschäftsführer reden, der 500 Betten verwaltet, viel zu wenige Betten für ein Land im Krieg. An manchen Tagen kamen zweihundert Verwundete und mehr, die meisten von Splittern getroffen. In der Nähe, nicht einmal eine Hubschrauber-Stunde entfernt, verläuft die Front.
Brüchiger Waffenstillstand
Zurzeit herrscht Waffenstillstand, sagt man. Trotzdem täglich wird ein Dutzend Verwundeter eingeliefert. Die Minen liegen überall im Kriegsgebiet herum, keiner weiß genau wo. Der Chefarzt, der Uniform trägt, schaut auf: „Russische Minen, die eigentlich verboten sind.“ Und ukrainische Minen? „Dazu können wir nichts sagen. Wir sind nur Ärzte.“
Der Geschäftsführer, der auch Uniform trägt, lächelt leise und richtet sein Rückgrat auf: „Wir erfüllen unsere Pflicht in Verteidigung der Ukraine.“ Der Waffenstillstand kann täglich, kann stündlich brechen. Die Ärzte kennen keine Freizeit mehr, keinen Urlaub.
Wie geht es einem Arzt, wenn er nach kurzer Nacht am Morgen wieder in den Operationssaal geht, improvisieren muss und nicht einmal die notwendigen Metallplatten und Stifte hat, um Brüche gescheit zu flicken? Der Chefarzt schaut verwundert: „Harte Männer können ihre Gefühle nicht so gut äußern“, sagt er. Mehr Gefühl erlaubt er sich nicht. Für mehr sei der Priester zuständig, der auch rund um die Uhr rufbereit ist.
„Jeder, der eine Militäruniform hat, wird behandelt“, sagt der Geschäftsführer des Krankenhauses, denn nur wenige Verwundete sind Soldaten der Armee. Die meisten, die eingeliefert werden, sind Freiwillige, die sich in Gruppen versammeln, die sie Bataillone nennen. Einige der jungen Männer, alle mit kurz geschorenen Haaren, zeigen ihr Gesicht, aber wollen aus Furcht ihren Namen nirgendwo gedruckt sehen: Der Kommandeur ist Manager und will nach dem Krieg auch wieder so arbeiten; ein anderer, der im Ost-Korps kämpft, ist Chef in einer Schuhfabrik, ein dritter, der verwundet wurde, ist Jurist.
Was ist Wahrheit, was Lüge, was Propaganda?
Sind sie Faschisten? Neonazis? Die Freiwilligen sind unerfahren im Umgang mit Journalisten, fühlen sich hilflos im Propaganda-Kampf mit der PR-Maschine in Moskau, in der Hunderte von Mitarbeitern die sozialen Netzwerke des Westens füttern.
Die Nationalisten sind laut, stellte der Historiker Jörg Baberowski in einem „Zeit“-Streitgespräch klar. „Je weniger Macht sie haben, desto lauter sind sie. Natürlich sind die ukrainischen Nazis nicht stilprägend! Aber es gibt sie.“ Professor Baberowski ist scharfer Kritiker der Medien in Deutschland und fordert: Nehmt auch die russische Sicht ein und versucht, sie zu verstehen! Was ist die Wahrheit in einem Krieg? Und was ist Lüge? Was ist Propaganda?
Die meisten, die heute in Deutschland über die Ukraine sprechen, fällen das Urteil über ein Land, das sie nicht kennen; sie wollen ihr Schicksal bestimmen, als wäre die Ukraine unsere Kolonie. So hat dieser Krieg im gut zwei Flugstunden entfernten Land eine zweite Front in Deutschland, eine Front aus Worten und Verschwörungen, Halbwahrheiten, Vorwürfen und Unterstellungen, eine ideologische Front.
- Weiterlesen:
- Lenin wurde flach gelegt
„Was sollen wir machen?“, fragen junge Ukrainer, in Charkiw wie in Kiew wie in Lemberg: „Sollen wir uns einfach ergeben? Können wir nicht selber unser Schicksal bestimmen – so wie Ihr Deutschen es 1989 getan habt? Ihr habt Eure Freiheit erreicht – und wollt nun die Ukraine dem russischen Bären zum Fraß vorwerfen, um ihn zu besänftigen, um Eure Ruhe zu bekommen?“
Was ist die Wahrheit? Am Charkiwer Freiheitsplatz, dem größten Platz Europas, stand bis vor wenigen Jahren – gegenüber der Universität – das Lenin-Denkmal. Lenin haben die Bürger flach gelegt, man sieht nur noch seine großen steinernen Füße hinter einer Riesen-Leinwand, auf die eine Marien-Ikone gedruckt ist.
Wenige Meter vom Freiheitsplatz entfernt, drei Minuten einen Hügel hinauf, steht das Fünf-Sterne-Hotel Charkiws, der „Palast“. Im „Skytower“ über den Dächern der Stadt empfängt die deutsche Honorarkonsulin im langen blauen Kleid die Mächtigen der Stadt, umzingelt von der Schicki-Micki-Gesellschaft. Konsulin Tetiana Gavrysh, die als Anwältin arbeitet, spendiert Wein, Cognac, Häppchen – und ein neues Buch: „Die Deutschen“.
Deutsche in Charkiw
Die Geschichte der Deutschen in Charkiw ist die Geschichte von Geist, Idealismus – und Terror. Mit Goethe schmückt sich die 160 Seiten umfassende Geschichte, und mit dem ersten Professor für Philosophie, dem Jenaer Johann Baptist Schad, Schüler und Nachfolger von Johann Gottlieb Fichte. Deutsche waren die ersten Amtsärzte in Charkiw und die ersten Apotheker, sie gründeten die ersten Zeitungen, sie etablierten den Fußball. Doch eine deutsche Stadt war Charkiw nie: Gerade mal zwei von hundert Einwohnern waren Deutsche bei der Volkszählung 1910, und das blieb die höchste Zahl.
Steinern verewigte sich das Bauhaus in Charkiw. Anfang der Dreißigerjahre entstand neben dem riesigen Traktorenwerk ein Stadtteil mit 60 000 Einwohnern: Das neue Charkiw, erbaut im Stil des Konstruktivismus, der sich an den Ideen des Weimarers Walter Gropius orientierte.
Aber tief ins Gedächtnis der Menschen hat sich der deutsche Terror während des Zweiten Weltkriegs eingebrannt.
Flüchtlinge erzählen vom Schrecken im Donbas
Charkiw war ein Schmelztiegel der Kulturen – und eine russische Stadt, in der die Menschen russisch sprechen. Eine russische Stadt?
Als russische Separatisten im März 2014 die Stadt stürmen wollten, wehrten sich die Bürger. „Wir waren zu zehnt im Rathaus“, erzählt Vize-Bürgermeister Igor Terechow „als uns kräftige, vermummte Burschen mit Baseballschläger zu einem Referendum zwingen wollten: Die Volksrepublik Charkiw. Sie holten die europäische Flagge vom Mast und zogen die russische hoch.“ Die flatterte nur kurze Zeit. Auf Bürgermeister Gennadij Kernes jedoch verübten Unbekannte kurz danach einen Anschlag, den er nur schwer verletzt überlebte: Seitdem sitzt er im Rollstuhl.
Die Sorge ist groß, dass im Winter Unruhen kommen: Die Energie-Preise sind wild gestiegen, und viele werden sie nicht mehr bezahlen können, wenn der Frost lange herrscht. Kommt dann die Zeit der Separatisten? Nein, sagt der Vize-Bürgermeister. „Die Charkiwer hören genau den Flüchtlingen zu, die vom Schrecken im Donbas erzählen und die froh sind, ihr Leben gerettet zu haben.“
An der Ausfallstraße zum Flughafen stehen die Container, von Deutschland bezahlt. Hier leben einige Hundert von den anderthalb Millionen, die im eigenen Land flüchten mussten. Manche sind bei Verwandten untergekommen, andere leben hier in einem Zimmer mit fünf Betten und wissen nicht, ob sie die nahe Heimat noch einmal wiedersehen werden.
Es ist Flüchtlingselend wie überall auf der Welt: Kaum einer will sie, kaum einer mag sie. Sie sind Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, der in Charkiw schon reichlich Arbeitssuchende verkraften muss. Die Flüchtlinge sind ein angenehmes Leben gewohnt: Im Donbas zahlt man gute Löhne. So sind die Mütter oft allein mit ihren Kindern in der Container-Siedlung. Die Männer kehren heimlich zurück in den Donbas, um Geld zu verdienen. Die staatliche 40-Euro-Unterstützung im Monat reicht nicht, wenn allein die Miete im Container 100 Euro kostet.
Vor einem Container im Flüchtlingslager haben die Bewohner einen kniehohen Zaun gebaut, dahinter ein Beet mit Blumen angelegt, rot, lila, weiß – ein bisschen Farbe, ein bisschen Natur inmitten einer Wüste aus Stein und Metall und einem Kinderspielplatz aus Plastik.
Jelena ist Flüchtling, sie erzählt von ihrer Tochter Kolja, die nach Deutschland eingeladen war, in ein Zirkuscamp. Sie sind mit dem Zug nach Lemberg gefahren, dazu braucht man eine knappe Nacht, dann mit dem Bus nach Berlin; mit dem Flugzeug fliegt hier keiner mehr, aus Angst. Seitdem kann Kolja jonglieren mit Kugeln und Tüchern und auf Bällen laufen, und sie erzählt immer wieder von den Clowns und einem kleinen Hund, und sie freut sich.
Eine Küche dient vier Familien, eine kleine Bibliothek lockt mit Kinderbüchern in jedem Container: Flüchtlinge im eigenen Land. Um das Quartier ist nur ein niedriger Zaun gezogen.
„Ohne die Freiwilligen hätten wir in Charkiw schon Verhältnisse wie im Donbas“, erklärt der stellvertretende Bürgermeister Igor Terechow. Die meisten in der Ukraine sprechen von ihnen mit einiger oder gar großer Bewunderung: Sie haben das Land gerettet, wenigstens den Teil, der noch nicht gefallen war.
„Eigentlich waren wir Banditen, die ihr Heim verteidigten“, bekennt Dimitrij, so nennen wir ihn, einer von denen, der unter den Maidan-Demonstranten war – „als die Menschen den Tyrannen abwählten. Doch als wir merkten, dass ein richtiger Krieg begann, da war uns schnell klar: Unsere Armee war zerstört, sie war unfähig, uns zu verteidigen“.
Die ersten Freiwilligen kauften sich Jagdgewehre, erbeuteten Waffen und ließen sich in einem Schnellkurs von Ex-Offizieren des Afghanistan-Kriegs ausbilden. Sie rekrutierten Nachwuchs aus Paintball-Vereinen, die überall in der Ukraine beliebt sind: Junge Leute, die in den Wäldern Krieg spielen und mit Farb-Bällen statt mit Kugeln schießen.
Mehr als dreihundert Opfer hat der Krieg nach UN-Angaben schon gekostet. „Die meisten Toten sind in den Bataillonen der Freiwilligen“, weiß einer der Kämpfer, nennen wir ihn Alexej, „wir mussten den Hauptangriff des Gegners aufhalten. Und das mit Soldaten, die das Schießen erst im Kampf gelernt haben – gegen einen Feind, der reichlich Erfahrung hatte mit solch einem schmutzigen Krieg, in Dagestan und Tschetschenien. Aber ohne uns und ohne die vielen Opfer gehörte Charkiw schon zu Russland.“
Bestechen, um kämpfen zu können
Aber sprechen sie nicht russisch, fühlen sie nicht russisch? „Wir sind Patrioten“, bekennt Alexej, „wir mussten auch nicht überzeugt werden. Wir sahen, wie die russische Armee die russischen Gefühle der Bewohner im Donbas ausnutzt.“ Und die Angst, wenn nicht mehr Farbbeutel auf einen fliegen, sondern richtige Kugeln?
„Keine Angst haben nur Wahnsinnige und Tote. Wenn man beschossen wird, hat man Angst. Aber wir wissen, wofür wie kämpfen. Die in der Armee wussten das nicht.“ Alexej wurde schwer verwundet.
Mittlerweile werden die Bataillone offiziell anerkannt. Alexej kennt aber Bataillone, die ohne Genehmigung an die Front ziehen: „Die Bürokraten sind viel zu langsam. Ich zum Beispiel wurde bei der Musterung für die Armee als untauglich eingestuft, also suchte ich ein Freiwilligen-Bataillon, da braucht man keine Papiere. Im Frieden musste man bestechen, um als untauglich eingestuft zu werden; heute muss man bestechen, um kämpfen zu dürfen.“
Allerdings berichten Menschenrechtler davon, dass Männer einfach auf der Straße rekrutiert und sofort in den Krieg geschickt werden.
...wird fortgesetzt
http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Die-Reportage-Die-Ukraine-verstehen-396784757
- Info:
- Charkiw und der Donbas
Charkiw ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Viele Familien haben Verwandte und Freunde im nahen russischen Grenzgebiet, im Erstliga-Klub „Metalist“ spielen russische Fußballer, und einige Charkiwer arbeiteten jenseits der Grenze, weil dort die Löhne höher sind. Heute baut die Ukraine entlang der gesamten Grenze einen Zaun.
Wer in Charkiw lebt, kennt Putins „Neues Russland“, er weiß, dass seine Stadt im Gebiet eines unerklärten Krieges liegt, in dem Soldaten aus der Ukraine kämpfen und aus Russland, Freiwillige aus beiden Ländern und einigen anderen mehr, Patrioten und Desperados, Menschenfreunde und Neonazis, Idealisten und Gewaltsüchtige.
In den ersten Monaten der Besetzung 1941 wurden 1500 Charkiwer hingerichtet; im Getto erschoss die SS jeden Tag 300 Juden – und 20.000 in der Schlucht „Drobizkij Jar“; 100.000 deportierten die Deutschen als Zwangsarbeiter ins Reich.
Donbas ist der ukrainische Name für die Industrie- und Kohle-Region rund um Donezk, die zum Teil zu Russland zählt und die in der Sowjetunion als das Herz Russlands gepriesen wurde. Heute haben russische Separatisten den Donbas unter Kontrolle.